(Essay)
Ich laufe im Wald spazieren.
Mein Blick fällt auf ein Stück Holz.
Es ist vielleicht krumm und schief, moosbewachsen, an einer Stelle gebrochen oder zerborsten. Die Waldarbeiter nennen solche Stücke „Bart“.
Ich nehme es mit.
Ich mache nichts anderes daraus.
Keinen Gebrauchsgegenstand.
Ich versuche nicht, es zu glätten oder zu korrigieren.
Ich versuche vielmehr, das Besondere dieses Stücks herauszuarbeiten: den Bruch, das Loch, das Gewachsene.
Während ich das Holz bearbeite, begreife ich Dinge bei mir selbst neu.
Meine Brüche.
Mein Sein.
Vielleicht ist es genau das, was mich auch in meiner Arbeit trägt:
die Aufmerksamkeit für das, was nicht glatt ist.
Die Überzeugung, dass Entwicklung nicht trotz der Brüche geschieht, sondern an ihnen.
Am Anfang eines Prozesses steht oft das Problem.
Etwas, das Mühe macht.
Etwas, das verändert werden will.
Es fühlt sich an wie der Bruch im Holz.
Dort beginnt der Weg.
Und dieser Weg ist so einzigartig wie der Mensch selbst.
Mich trägt ein Bild davon, wie wir als Menschen miteinander leben könnten.
Nicht als Einzelne, die alles allein tragen müssen.
Nicht im Mythos des Helden.
Wenn wir Workshops beginnen, sind wir Einzelne.
Wenn wir sie beenden, ist es für mich Glück,
wenn etwas anderes entstanden ist:
die Erfahrung, dass wir einander tragen können.
Diese Erfahrung braucht einen Raum.
Common Space – zunächst ganz schlicht: gemeinsamer Raum.
Ein Raum aus Zeit.
Ein Raum aus Aufmerksamkeit.
Ein Raum zwischen uns.
Ich verlasse meinen eigenen Raum mit seinen Möglichkeiten und Begrenzungen
und betrete einen Raum mit anderen.
Damit betrete ich eine Fülle,
die größer ist als das, was ich allein tragen kann.
Dieser Raum ist nicht verfügbar.
Er lässt sich nicht herstellen.
Er entsteht nicht automatisch.
Er entsteht durch Haltung.
Durch Verantwortung.
Durch die Bereitschaft, sich nicht hinter Rollen zu verstecken.
Hannah Arendt hat diesen Raum einen Erscheinungsraum genannt:
einen Raum, der nicht durch Mauern entsteht,
sondern dort, wo Menschen handelnd und sprechend miteinander umgehen –
und der verschwindet, wenn dieses Miteinander aufhört.
Der Common Space ist ein solcher Raum.
Fragil.
Zeitlich.
Und gerade deshalb bedeutsam.
Meine Beziehung zu Räumen ist biografisch gewachsen.
Zu enge Räume.
Gesuchte Räume.
Gefundene Räume.
Die Natur ist bis heute mein Lebensraum:
Weite.
Leere.
Gestaltbarkeit.
Später wurde der Wunsch nach einem großen, leeren Raum Wirklichkeit –
ein Ort, der nicht vorgibt, was geschehen soll.
Heute arbeite ich gerne draußen, im Garten, im Gewächshaus.
Im übertragenen Sinn wünsche ich mir genau das für Menschen:
einen Raum, der Schutz und Offenheit zugleich ist.
Einen Raum, der Entwicklung nicht erzwingt, sondern ermöglicht.
Mitten im geplanten Workshop kann sich etwas ereignen,
das sich nicht planen lässt.
Nicht machen.
Nicht erzwingen.
Vielleicht Resonanz.
Hartmut Rosa beschreibt Resonanz als eine Weltbeziehung,
die nicht auf Beherrschung beruht,
sondern auf Hören und Antworten.
Ich erlebe diese Momente im Common Space,
wenn Gespräche plötzlich Tiefe bekommen
und etwas zu schwingen beginnt,
ohne dass jemand es gemacht hätte.
Hier berühren wir die Unverfügbarkeit.
Nicht darüber verfügen können.
Es sich wünschen – ohne Gewähr.
Alles getan haben,
und doch reicht es nicht.
Auch Bezogenheit ist unverfügbar.
Sie ist Geschenk.
Und Zumutung.
Karl-Josef Pazzini beschreibt das Unverfügbare
als Mangel und Überschuss zugleich –
als das, worauf Entwicklung angewiesen ist,
gerade weil es sich entzieht.
Wo wir dem Unverfügbaren Raum geben,
verändert sich unser Modus.
Das Machen tritt zurück.
Das Imgriffhaben verliert seine Macht.
An seine Stelle treten
Verletzlichkeit,
Demut,
tastendes Vorwärtsgehen.
Bitte.
Vertrauen.
Torsten Jung spricht davon,
dass ein Prozess manchmal nicht irgendwohin führt,
sondern nirgendwohin –
an den Punkt,
an dem wir erkennen,
dass wir bereits da sind.
Ein Bild begleitet mich dabei: der Kreis.
Ein Raum, der da ist –
und offen bleibt.
Common wird dieser Raum durch das,
was wir in seiner Mitte miteinander wagen.
Der Kern des Common Space sind die echten Anliegen.
Nicht Themen.
Anliegen.
Etwas, das mich ruft.
Etwas, das mich nicht schlafen lässt.
Etwas, das Veränderung braucht.
Mit einem Anliegen verlasse ich die passive Rolle.
Ich zeige mich.
Ich übernehme Verantwortung für mich.
Und ich wende mich den anderen zu.
Aus Freiheit und Verbindlichkeit
entsteht Solidarität.
Der Common Space ist kein Konzept, das man besitzt.
Er ist ein Raum, den man betritt.
Immer wieder neu.
Er existiert nur,
solange wir bereit sind,
Verantwortung zu teilen
und uns gegenseitig zu tragen.
Alles ist da.
Für einen Menschen,
mit dem sich Raum öffnen konnte.
Und für den Mut,
ihn zu verlassen,
als er nicht mehr trug.
20.12.2025